Einleitung

Einleitungstexte zum Liber AL vel Legis (1904–1912)

I

Das Buch

Dieses Buch wurde in Kairo zwischen 12 Uhr mittags und 13 Uhr an drei aufeinanderfolgenden Tagen, dem 8., 9. und 10. April im Jahr 1904 diktiert.

Der Urheber nannte sich Aiwass und behauptete, „der Diener von Hoor-Paar-Kraat“ zu sein – das heißt, ein Bote der Kräfte, die gegenwärtig über diese Erde herrschen, wie später erklärt werden wird.

Wie konnte er beweisen, dass er tatsächlich ein Wesen war, das der menschlichen Rasse überlegen ist, und somit berechtigt, mit Autorität zu sprechen? Offenbar musste er WISSEN und MACHT zeigen, wie sie keinem Menschen je zugeschrieben wurden.

Er zeigte sein WISSEN vor allem durch den Gebrauch von Chiffren oder Kryptogrammen in bestimmten Passagen, um verborgene Tatsachen darzulegen – einschließlich einiger Ereignisse, die erst noch eintreten sollten –, sodass kein Mensch davon wissen konnte. Der Beweis seiner Behauptung liegt somit im Manuskript selbst. Er ist unabhängig von jedem menschlichen Zeugen.

Das Studium dieser Passagen erfordert zwangsläufig höchste Gelehrsamkeit, um sie zu deuten – es bedarf jahrelanger intensiver Beschäftigung. Vieles muss noch erarbeitet werden. Aber genug wurde bereits entdeckt, um seine Behauptung zu rechtfertigen; selbst der skeptischste Verstand ist gezwungen, ihre Wahrheit anzuerkennen.

Am besten lässt sich diese Angelegenheit unter der Anleitung des Meisters Therion studieren, dessen Jahre harter Forschung ihn zur Erleuchtung geführt haben.

Andererseits ist die Sprache des größten Teils des Buches bewundernswert einfach, klar und kraftvoll. Niemand kann es lesen, ohne bis ins Innerste erschüttert zu werden.

Die übermenschliche MACHT von Aiwass zeigt sich im Einfluss seines Meisters und des Buches auf tatsächliche Ereignisse: Die Geschichte stützt in vollem Umfang die von ihm erhobenen Ansprüche. Diese Tatsachen sind für jedermann erfassbar, werden jedoch besser mit Hilfe des Meisters Therion verstanden.

Die vollständige, detaillierte Darstellung der Ereignisse, die zur Niederschrift dieses Buches führten, mit Faksimile-Reproduktion des Manuskripts und einem Essay des Meisters Therion, ist veröffentlicht in The Equinox of the Gods.

II

Das Universum

Dieses Buch erklärt das Universum.

Die Elemente sind Nuit – der Raum – das heißt die Gesamtheit aller Möglichkeiten jeglicher Art – und Hadit, jeder Punkt, der diese Möglichkeiten erfährt. (Diese Vorstellung wird der literarischen Bequemlichkeit halber durch die ägyptische Göttin Nuit symbolisiert, eine Frau, die sich wie das Gewölbe des Nachthimmels beugt. Hadit wird als geflügelte Kugel im Herzen von Nuit dargestellt.)

Jedes Ereignis ist eine Vereinigung einer Monade mit einer ihrer möglichen Erfahrungen.

„Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern“, das heißt, eine Gesamtheit solcher Erfahrungen, die sich mit jedem neuen Ereignis verändern, das ihn oder sie entweder bewusst oder unbewusst beeinflusst.

Jeder von uns hat somit ein eigenes Universum, doch ist es für jeden dasselbe, sobald es alle möglichen Erfahrungen umfasst. Das impliziert die Erweiterung des Bewusstseins, um alle anderen Bewusstseine einzuschließen.

In unserem derzeitigen Stadium ist der Gegenstand, den du siehst, nie derselbe wie der, den ich sehe; wir schließen daraus, dass es derselbe ist, weil deine Erfahrung in so vielen Punkten mit meiner übereinstimmt, dass die tatsächlichen Unterschiede unserer Beobachtungen vernachlässigbar sind. Wenn zum Beispiel ein Freund zwischen uns geht, siehst du nur seine linke Seite, ich seine rechte; aber wir sind uns einig, dass es derselbe Mann ist, obwohl wir uns nicht nur darin unterscheiden können, was wir von seinem Körper sehen, sondern auch darin, was wir über seine Eigenschaften wissen. Diese Überzeugung von Identität wird stärker, je öfter wir ihn sehen und je besser wir ihn kennen lernen. Doch die ganze Zeit über kann keiner von uns irgendetwas von ihm wissen, außer dem Gesamteindruck, den er auf unser jeweiliges Bewusstsein macht.

Das oben Gesagte ist ein äußerst grober Versuch, ein System zu erklären, das alle bestehenden philosophischen Schulen miteinander versöhnt.

III

Das Gesetz von Thelema*

Dieses Buch legt einen einfachen Verhaltenskodex fest:

„Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz.“

„Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.“

„Es gibt kein Gesetz außer: Tu, was du willst.“

Das bedeutet, dass jeder von uns Sternen sich auf seiner wahren Umlaufbahn bewegen soll, wie sie durch die Natur unserer Position, das Gesetz unseres Wachstums, den Impuls unserer vergangenen Erfahrungen vorgegeben ist. Alle Ereignisse sind gleichsam gesetzmäßig – und auf lange Sicht für uns alle notwendig –, aber in der Praxis ist für jeden von uns zu einem bestimmten Zeitpunkt nur eine Handlung rechtmäßig. Daher besteht die Pflicht darin, von einem Moment des Bewusstseins zum nächsten das richtige Ereignis zu erfahren.

Jede Handlung oder Bewegung ist ein Akt der Liebe, eine Vereinigung mit einem Teil von „Nuit“; jeder solcher Akte muss „unter Willen“ stehen, also so gewählt sein, dass er die wahre Natur des betreffenden Wesens erfüllt und nicht behindert.

Die technischen Methoden, dies zu erreichen, sind im Magick zu studieren oder durch persönliche Unterweisung des Meisters Therion und seiner ernannten Assistenten zu erlernen.

* Thelema ist das griechische Wort für „Wille“ und hat denselben Zahlenwert wie Agape, das griechische Wort für „Liebe“.

IV

Das Neue Äon

Das dritte Kapitel des Buches ist schwer zu verstehen und könnte vielen Menschen, die vor dem Datum der Entstehung (April 1904) geboren wurden, sehr abstoßend erscheinen.

Es beschreibt die Merkmale der Periode, in die wir nun eingetreten sind. Oberflächlich betrachtet erscheinen sie erschreckend. Einige davon sind bereits mit furchterregender Deutlichkeit zu erkennen. Aber fürchte dich nicht!

Es erklärt, dass bestimmte große „Sterne“ (oder Aggregate von Erfahrungen) als Götter beschrieben werden können. Einer von ihnen ist für jeweils 2.000 Jahre für das Schicksal dieses Planeten verantwortlich.* In der bekannten Weltgeschichte gab es drei solche Götter: Isis, die Mutter, als das Universum als einfache Nahrung verstanden wurde, die direkt von ihr bezogen wurde – diese Periode war von matriarchaler Herrschaft geprägt.

Dann, beginnend um 500 v. Chr., Osiris, der Vater, als das Universum als ein katastrophisches Prinzip mit Liebe, Tod, Auferstehung verstanden wurde – die Methode, durch die Erfahrungen aufgebaut wurden; dies entspricht patriarchalen Systemen.

Jetzt Horus, das Kind, bei dem wir erkennen, dass Ereignisse ein ständiges Wachstum darstellen, das Elemente beider früherer Methoden in sich trägt und durch äußere Umstände nicht überwunden werden kann. Diese gegenwärtige Periode erfordert die Anerkennung des Individuums als die Grundeinheit der Gesellschaft.

Wir erkennen uns selbst, wie in den ersten Absätzen dieses Essays erklärt. Jedes Ereignis, einschließlich des Todes, ist nur eine weitere Erweiterung unserer Erfahrung, von Anfang an frei durch uns selbst gewollt und daher auch vorherbestimmt.

Dieser „Gott“, Horus, trägt den technischen Titel: Heru-Ra-Ha – eine Kombination der Zwillingsgötter Ra-Hoor-Khuit und Hoor-Paar-Kraat. Die Bedeutung dieser Lehre ist im Magick zu studieren. (Er wird symbolisiert als thronender Gott mit Falkenkopf.)

Er regiert die gegenwärtige Periode von 2.000 Jahren, beginnend mit 1904. Überall schlägt seine Herrschaft Wurzeln. Beobachte selbst den Verfall des Sündenbegriffs, das Anwachsen von Unschuld und Verantwortungslosigkeit, seltsame Veränderungen im Fortpflanzungstrieb mit Tendenz zur Bisexualität oder Geschlechtslosigkeit, kindliches Vertrauen in den Fortschritt gepaart mit alptraumhafter Angst vor Katastrophen, gegen die man sich doch nur halbherzig schützt.

Bedenke das Aufkommen von Diktaturen, die nur möglich sind, wenn moralische Entwicklung sich in ihren frühesten Stadien befindet, und das Überhandnehmen kindischer Kulte wie Kommunismus, Faschismus, Pazifismus, Gesundheitswahn, Okkultismus in fast allen Formen, Religionen sentimentalisiert bis zur praktischen Auslöschung.

Bedenke die Beliebtheit von Kino, Radio, Fußballwetten und Ratespielen – alles Mittel, um quengelnde Kleinkinder zu beruhigen, ohne jeglichen inneren Zweck.

Bedenke den Sport, die kindischen Begeisterungen und Wutanfälle, die er hervorruft – ganze Nationen in Aufruhr wegen Streitigkeiten unter Jungen.

Bedenke den Krieg, die täglichen Gräueltaten, die uns ungerührt lassen und kaum beunruhigen.

Wir sind Kinder.

Wie sich dieses neue Äon des Horus entwickeln wird, wie das Kind heranwächst – das liegt an uns, wenn wir selbst im Sinne des Gesetzes von Thelema heranreifen unter der erleuchteten Führung des Meisters Therion.

* Der Moment des Übergangs von einer Periode zur nächsten wird technisch als Äquinoktium der Götter bezeichnet.

V

Der nächste Schritt

Die Demokratie taumelt.

Wütender Faschismus, keifender Kommunismus – beides Betrügereien –, tollen verrückt über den Globus.

Sie bedrängen uns von allen Seiten.

Sie sind Fehlgeburten des Kindes, des Neuen Äons des Horus.

Die Freiheit regt sich erneut im Schoß der Zeit.

Der Wandel durch Evolution erfolgt auf anti-sozialistische Weise. Der „abnormale“ Mensch, der die Strömungen der Zeit voraussieht und die Umstände intelligent anpasst, wird ausgelacht, verfolgt, oft von der Herde vernichtet; aber er und seine Erben überleben, wenn die Krise kommt.

Über uns hängt heute eine Gefahr, wie sie in der Geschichte beispiellos ist. Wir unterdrücken das Individuum auf immer neue Weise. Wir denken in Begriffen der Herde. Krieg tötet nicht mehr Soldaten; er tötet unterschiedslos alle. Jede neue Maßnahme der demokratischsten wie autokratischsten Regierungen ist im Wesen kommunistisch. Es ist immer eine Einschränkung. Wir werden alle wie schwachsinnige Kinder behandelt. Dora, das Ladenschlussgesetz, die Verkehrsregeln, die Sonntagsvorschriften, die Zensur – man traut uns nicht einmal zu, eine Straße nach Belieben zu überqueren.

Faschismus ist wie Kommunismus – nur noch unehrlicher. Die Diktatoren unterdrücken jede Kunst, Literatur, Theater, Musik, Nachrichten, die nicht ihren Anforderungen genügen; doch die Welt bewegt sich nur durch das Licht des Genies. Die Herde wird massenhaft vernichtet.

Die Errichtung des Gesetzes von Thelema ist der einzige Weg, die individuelle Freiheit zu bewahren und die Zukunft der Menschheit zu sichern.

In den Worten des berühmten Paradoxons des Comte de Fénix:
Die absolute Herrschaft des Staates soll eine Funktion der absoluten Freiheit jedes individuellen Willens sein.

Alle Männer und Frauen sind eingeladen, mit dem Meister Therion bei diesem Großen Werk zusammenzuwirken.

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